Die Kollagenose und ich
Ein nicht ganz ernst geschriebener aber ernst gemeinter Erfahrungsbericht, der dir vielleicht über den ersten Diagnoseschock hinweghilft.
Kollagenose. Die. Da ich gerade dienstlich Französisch lerne und erfahren habe, dass es in der Sprache unserer Nachbarn keinen sächlichen Artikel gibt, überlege ich gerade mal, ob Kollagenose für mich weiblich oder doch männlich ist. Obwohl ich mit meinem Mann glücklich verheiratet bin, sind bei mir bockige oder einfach doofe Sachen gern mal männlich (der Virus). Aber die Kollagenose ist gefühlt auch mega zickig, lauert mir zu den ungeschicktesten Zeiten auf und nervt unglaublich. Sucht es euch aus ;-)
Ich. Marion. 46 Jahre alt. Grenzenlose Optimistin. Verheiratet mit Peter - seit 1999. Leider kinderlos. Über 20 Jahre leidenschaftliche Handballtorhüterin. Planerin für Lackieranlagen bei der großen Autofirma mit Stern. Happy mit meinem Job, gut integriert in Abteilung, Team und Projektteam. Ich darf seit knapp einem Jahr sogar ein Herzensprojekt mitbetreuen: die Planung einer neuen Lackierung im smart Werk in Hambach (Frankreich)
Im Januar 2019 bin ich quasi 3 Wochen total vergrippt. Irgendwann nimmt mein Hausarzt mal wieder Blut und stellt fest, dass mein Entzündungswert (CRP-Wert) erhöht ist. Er meint, dass da etwas nicht passt und lässt den Wert vom Labor weiter aufclustern. In der nächsten Sprechstunde erklärt er mir, dass der Wert innerhalb des CRP erhöht sei, der für eine Rheumatische Erkrankung spricht. Ich schau ihn daraufhin wohl an wie eine Kuh vorm Scheunentor. Was hat er gerade gesagt? Rheuma? Ich?! Kann nicht sein. Ich spür doch gar nichts. Nach einer Denkminute fällt mir ein, dass mein Schulter-Nackenbereich zwickt. Aber bei welcher Schreibtischtäterin zwickts nicht irgendwann irgendwo im Kreuz? Und außerdem bin ich als ehemalige Handballtorhüterin Schmerzen gewohnt und schenke ihnen meist erstmal keine Beachtung. Die vergehn ja schließlich wieder. Oder eben neuerdings auch nicht. Zurück zum Doc. Er rät mir dringend zum Rheumatologen zu gehn während ich gefühlt noch immer im falschen Film bin.
Ein Fax zur Anmeldung bei der Rheumatologischen Akutsprechstunde wird versandt. Antwort bekomme ich ewig keine. Mittlerweile ist es Mitte März und ich steige noch immer antwort- und terminlos in den Flieger nach Peking, wo ich 10 Tage Urlaub verbringen will, heiß ersehnten Urlaub.
Wahrscheinlich fragst du dich jetzt, wie man darauf kommt, Urlaub in Beijing zu machen. Ich habe von 2009 bis 2015 auf Dienstreisebasis diverse Wochen dort verbracht. Einige sehr nette Kollegen, unter anderem eine Chinesische Abteilungsleiterin und ein Paar, bei dem ich sogar auf der Hochzeit war und die mittlerweile eine 3 Jährige Tochter haben.
Da sie mich immer mit ‚My Sister‘ angesprochen hat, bin ich stolze Tante (ich kann sonst nicht Tante werden, da wir beide Einzelkinder sind) und musste jetzt endlich meine süße Nichte kennenlernen. Außerdem gibt es in Beijing unglaublich schöne Ecken, Plätze, Parks, wo ich auch unbedingt schon lange mal wieder vorbeischauen wollte.
Ich habe 4 wunderbare Tage, dann kriege ich auf einmal einen Ganzkörpermuskelkater und will morgens am liebsten nicht aufstehen. Das beißt sich aber mit meiner Freude an der Stadt und meinem spontan geschriebenen Sightseeingplan. Also raffe ich mich auf, frage mich aber immer wieder, warum ich so platt und muskelverkatert bin. Den Sightseeingplan abgearbeitet fliege ich zurück und habe zum Glück noch ein paar Tage frei aber der blöde Muskelkater ist noch immer mein Anhängsel.
Vom Rheumatologen weiß ich noch immer nichts. Freitags schreibe ich eine eMail ans Praxisteam und hänge meine eingescannten Laborberichte und Infos vom Hausarzt mit an. Direkt am Samstag (!) mailt mir der Rheumatologe persönlich, dass montags ein Termin frei geworden wäre, den ich natürlich annehme.
Etwas nervös erkläre ich ihm, was mich zu ihm führt. Erzähle von den Blutwerten, meinem Ganzkörpermuskelkater und meinem Schulternackenbereich. Er ist erstmal der Meinung, dass ich kein Rheuma habe, schlägt dann aber vor, eine weitere Blutprobe zu nehmen. Ich soll auch Urin abgeben und dann will er meine Lunge röntgen lassen. Ich bin mal wieder verwundert. Solche Blutwerte könnten auch durch Bakterien auf der Lunge entstehn erklärt er mir. Mit der Ansage, mir einen Röntgentermin zu besorgen und, dass ich am darauffolgenden Montag an seiner Telefonsprechstunde teilnehmen soll, entlässt er mich.
Lunge?! Hallo?! Das wird ja immer besser.
Ich kann am nächsten Tag bereits ins KKH kommen, werde abgelichtet und bekomme gesagt, dass ich eine „wunderschöne Lunge“ habe, auf der keinerlei Bakterien zu erkennen seien. Bin ich froh. Ich darf das Bild sehn und erkenne strahlend weiße Lungenflügel.
Zur Zeit erlebe ich einige ‚erste Male‘. Jetzt auch. Telefonsprechstunde. Ich bin ja offen für Neues, nein, geradezu neugierig. Aber diese Veranstaltung lässt sich für mich am ehesten mit dem Wort ‚seltsam‘ beschreiben. Fluch und Segen, immerhin muss ich nicht wieder 30km fahren, für die man dann auch 30min braucht.
Er ist nach Durchsicht des Röntgenberichts und der Laborergebnisse noch immer der Meinung, dass es eher kein Rheuma ist und überlässt mir die Entscheidung, ob ich einen Test mit Kortison machen will. Sind nach der Einnahme die Schmerzen weg, ist es etwas Rheumatisches. Nach kurzem Überlegen entscheide ich mich für den Test, schließlich will ich wissen, was Sache ist.
Am nächsten Tag halte ich das Rezept in den Händen, beginne mit der Einnahme und: Tadaaaah, der Schmerz und auch der Pseudomuskelkater haben sich vom Acker gemacht. Hach wie schön. Halt. Nein. Jetzt habe ich Gewissheit. Eine rheumatische Autoimmunkrankheit. In der nächsten Telefonsprechstunde meint der Doc nur, dass er mir ein Rezept Kortison zum Ausschleichen schickt, eines für ein Rheumamittel, einen Einnahmeplan und einen Behandlungsplan an meinen Hausarzt, zu dem ich regelmäßig zur Kontrolle müsse und schnellstmöglich vorbeischauen soll. Mehr verrät er nicht.
Irgendwie muss ich das Ganze erst mal verdauen, was mir im ersten Moment gefühlt ganz gut gelingt. Am nächsten Tag, es ist der 30.04.2019, fahre ich frühmorgens mit meinen Kollegen zu diversen Projektbesprechungen und einer Vorortbesichtigung nach Hambach und spätabends zurück. Mittlerweile sind die Unterlagen vom Rheumatologen angekommen. Ich lese in seinem Schreiben was von irreversiblen Augenproblemen und muss mal kräftig schlucken. Augen?! Mögliche Erblindung?! Und DAS soll ich nehmen? Da fangen zum ersten Mal die Gedanken an zu kreisen. Am 1. Mai sind mein Mann und ich auf der Maibaumhocketse und abends mit meinen Eltern bei Heinrich del Core, dem Deutschitalienischen Kabarettisten. Alles gut, ich lach mich schlapp und hab jede Menge Spaß.
Die beiden darauffolgenden Tage will ich Homeoffice machen aber ich bekomme keinen klaren Gedanken zustande und meine Wortfindungsstörungen sind wieder da. Das treibt mich fast an den Rand des Wahnsinns. Später habe ich noch einen Termin bei einem Orthopäden, den ich vom Handball her schon sehr lange kenne. Wir sind per du und ich erhoffe mir eine Zweitmeinung bezüglich der Medikamente. Er liest, lächelt süffisant und meint nur, dass ich das eben nehmen muss, wenn der andere Doc das sagt. Außerdem würden normal eh nie solche Nebenwirkungen eintreten, ich solle mich nicht verunsichern lassen. Er hat ja leicht reden. Normal bin ich alles andere als ein Angsthase. Aber bei Herz, Lunge und den Augen hörts bei mir irgendwie auf. Tilt. Error. An arbeiten ist definitiv nicht mehr zu denken dafür kurble ich die Taschentuchproduktion an. Jetzt hilft nur eins, ein Termin bei meinem Neurologen. Ich will bitte nicht noch einmal in dieses furchtbar tiefe Loch fallen, aus dem ich innerhalb der letzten 3 Jahre mühsam Schritt für Schritt wieder rausgekrabbelt bin.
Ich fühle mich alleingelassen. Die beiden Ärzte haben nicht wirklich viel mit mir gesprochen. Gefühlt nur: „nimm das, is gut für dich“. Abends wollen wir von der Abteilung aus auf den Wasen, es ist Frühlingsfest. Sie sollen ohne mich gehen. Ich kann jetzt nicht fröhlich Maß trinken, Göckele essen und im Dirndl auf den Bänken tanzen, dabei hatte ich mich gnadenlos darauf gefreut.
Am nächsten Tag bin ich bei meinem Seelenklemptner. Er kennt mich gut und hört sich den ganzen Sch*** an. Fragt mich, ob ich eine Auszeit brauche. Ich nehme den Strohhalm dankbar an. Will Kräfte sammeln, will mich in meiner neuen Situation zurechtfinden. Infos sammeln, Bücher lesen und meinem äußeres Chaos beseitigen, dass auch in meiner Seele wieder Ordnung einziehen kann. So verbringe ich Wochen zuhause, in denen ich die Seele baumeln lasse, aufräume, umräume, lese und mir Gutes und Schönes gönne, was sehr lange zu kurz gekommen war. Frühstück mit Freundinnen, ein Violinkonzert, Besuche in verschiedenen Thermalbädern, Lesungen......
Mein Hausarzt erklärt mir am Mittwoch in der Woche nach meinem Termin beim Psychater, dass mein Rheuma meine Muskeln, Sehnen, Bänder und die Knochenhaut angreift. Das kann mich nicht mehr schocken, sowas dachte ich mir fast. Dennoch kenne ich die endgültige Diagnose noch immer nicht. die habe ich mir vorerst selbst zusammengereimt: Weichteilrheuma, Polymyositis?! Mal sehn, was der nächste Termin außer der routinemäßigen Blutabnahme mit sich bringt.
Ok. Es ist eine Kollagenose. Mehr ist noch nicht bekannt.